DSC 1443
Foto: Johannes Schubert

 

Los Marandis, ein Jahr unterwegs - ein Blick hinter die Kulissen...

Ganz schön flaue GefĂŒhle hatten wir im Bauch, am 6. Januar 2009. Es war der Tag unseres Abflugs und wir standen mit unserem erfahrenen Radlerfreund Pascal in der Halle des Flughafens ZĂŒrich. Er versuchte uns unsere Aufregung (und Ängste?) etwas zu nehmen. Aber trotzdem: Noch IMG_0836nie waren wir lĂ€nger als zwei Monate von zu Hause weg. Hatten nur zweimal zehn Tage Transalp mit dem Mountainbike als lĂ€ngste Radreisen auf unserem Konto zu verbuchen. Und nun hatten wir zwei Jahre vor uns. ZWEI JAHRE!!! Eine unglaublich lange Zeit. Klar kamen da Gedanken auf: "Sind wir echt gemacht, fĂŒr ein solches Outdoorleben. Bei jedem Wetter 24 Stunden an der frischen Luft? SchlĂ€ft es sich in unserem Alter ĂŒberhaupt noch gut im Zelt auf einer dĂŒnnen Matte? Wird unsere Beziehung all den Strapazen standhalten?" Dann kamen noch die einen oder anderen kritischen Äusserungen aus dem Umfeld dazu: "Was, Patagonien mit dem Rad? Völlig ungeeignet!" Und: "Nach ein paar Monaten oder nach einem Jahr wird bei euch die Luft draussen sein, ihr werdet's sehen. Zwei Jahre sind zu lang!"Nun ja, einige haben ihre Wette schon verloren Zwinkern.

Wir liessen uns erst mal nicht gross stressen. Schliesslich waren wir eigentlich recht stolz, nur schon den Sprung ins kalte Wasser gewagt zu haben. Falls wir also irgendwo zwischen Ushuaia und Alaska das Handtuch werfen mĂŒssten, so haben wir es doch wenigstens versucht und können beruhigt wieder ins Alltagsleben zurĂŒckkehren! Uns fĂ€llt da kein Zacken aus der Krone...

 

Nun ist das erste Jahr bereits vorbei - UND???

Schon viel haben wir auf www.marandi.ch wie auch in vielen Mails von uns geschrieben. Von unseren tollen, schönen Erlebnissen, traumhaften Landschaften, lieben Leuten und vom Wind. Alles immer wunderschön ... aber klar, nicht immer war alles Friede, Freude, Eierkuchen. Logisch! Wir haben uns ĂŒberlegt, ob wir auch etwas von der „Schattenseite" schreiben sollen. Interessiert das ĂŒberhaupt, geht das die Öffentlichkeit was an? Nun ja, aufgrund der vielen Mails schreiben wir davon ... "wir lassen nun die Hosen runter" ;-) ... 1 Jahr Reise - ein Grund doch, dieser Sache mal genauer auf den Grund zu gehen und etwas hinter die Kulissen zu schauen ... ein Grund auch, anderen Radlerpaaren unsere Erfahrungen aufzuzeigen ...

 

Was ist eigentlich der Sinn unserer Reise?

Radfahren in Suedamerika ist natĂŒrlich eine vielleicht etwas ungewöhnliche Art zu Reisen, aber seit wann brĂ€uchte man fĂŒrs Reisen eine sinnhafte ErklĂ€rung? Warum klettert man auf den Mount Everest? Warum ĂŒberquert man im kleinen Segelboot den Atlantik? Nein, wir sind nicht von Mulege-2291zu Hause geflĂŒchtet und nein, es ist auch nicht in erster Linie die sportliche Herausforderung; dafĂŒr gibt es andere Möglichkeiten. Der Sinn ist, dass wir unseren Traum erfĂŒllen; ein Abenteuer um etwas von dieser grossen Welt und dessen grandiosen Naturschönheiten zu sehen und andere Kulturen und Menschen kennen zu lernen. Wir lieben unsere Schweiz ĂŒber alles und immer noch ist es einer der schönsten Flecken auf Erde. Aber wir möchten nicht das ganze Leben in unserer kleinen Schweiz bleiben - wir sind nicht die einzigen auf dieser Welt. Doch warum haben wir uns auf eine Radtour eingelassen, die uns oft Strapazen, KĂ€lte, Hitze, Schmerzen und Gejammer bereitet? Lieber ein Pickel am Po vom Fahrradsattel, als HĂ€morrhoiden vom BĂŒrostuhl Zwinkern! Nein im ernst ... wir lieben den Radsport und wir sind Freunde der „langsam Reisenden". Alles, einfach alles erlebt man dadurch viel intensiver und viel nĂ€her. Und warum machen wir dies erst mit 40 Jahren? Der Drang zu gehen war einfach unaufhaltbar und wir brauchten auch eine Abwechslung vom Alltag. So nahmen wir die Ausfahrt runter vom von der Autobahn des Leben und tuckern nun in der 30er Zone herum. Eine Pause tut doch jedem gut. Man kann es glauben, was einem eine solche Reise fĂŒr Energien und Kraft zurĂŒckgibt - wir platzen fast. Wir sind topmotiviert auch fĂŒr neue berufliche Herausforderungen.

 

Unsere Beziehung?

Über so lange Zeit als Paar gemeinsam unterwegs zu sein, kann schon fast folterĂ€hnliche ZustĂ€nde annehmen. 24 Stunden zusammen, IMG_0435nachts (meist zwölf Stunden) im engen Zelt oder Hostalzimmer eingepfercht. Alle Entscheidungen mĂŒssen gemeinsam gefĂ€llt werden. Andi: „Der Zelteingang kommt hier!" Marion: „Aber nein, dann haben wir doch den Strauch zu nahe vor dem Eingang!" Andi: „Aber ich muss Windschatten fĂŒrs Kochen haben." Marion: „Aber ich liege dann in einer Mulde!" Andi: „Trotzdem, der Zelteingang muss doch hier sein wegen dem starken Wind." Funkstille... Und dies nach einer langen Radeletappe und wir todmĂŒde. Die Gelegenheiten sind vielfĂ€ltig, die Explosionen zahlreich. Es kam auch schon mal so weit, dass der eine oder die andere gedacht hat: Schluss, aus. Ich hab die Schnauze voll, echt. Ich fahr nach Hause!!! Unser Freund Johannes kann sicher ein Liedchen von uns singen ;-).

Trotzdem sind wir auf dieser Reise aneinander gewachsen und haben uns noch besser kennen und schÀtzen gelernt. Mittlerweile sind wir auch als Paar ein eingespieltes Team, harmonieren je lÀnger je besser und sind jetzt so richtig am Geniessen!

Trotz aller Schwierigkeiten die eine solche Reise mit sich bringt, es ist wunderschön zu Zweit zu radeln und zu reisen. Alle EindrĂŒcke, Erlebnisse und GefĂŒhle kann man teilen und dem anderen mitteilen. Und nach einem wunderschönen Tag ist aller Verdruss vergessen.

 

Unsere Gesundheit?

Zuerst grassierte das Denguefieber im Norden von Argentinien, dann die Schweinegrippe fast auf der ganzen Welt. Von beidem NL14_25blieben wir verschont. Die Malariagebiete haben wir gemieden. Die so gefĂŒrchteten Magen- Darmerkrankungen blieben bis auf eine Ausnahme aus. Vielleicht mal ab und zu eine etwas rasantere Verdauung... Nach der langen Busfahrt in MĂ©xico eine deftige ErkĂ€ltung mit kurzem Fieber. Wir hoffen es bleibt so! Haben wir die kritischen Zonen doch eher hinter uns...
Und der Hintern?- Tja, die Hornhaut an den FĂŒssen ist jetzt um einen Meter höher gerutscht und dank unserem super BROOKS- Sattel und den idealen Radlerhosen (CUORE) gibt's nur ab und zu bei grosser Hitze und langen Etappen kleine Scheuerstellen oder einen Pickel. Also, an unserem Hintern wird's nicht scheitern.

 

KriminalitÀt und andere Gefahren?

Die meisten unserer BefĂŒrchtungen haben sich nicht bewahrheitet. Das absolut GefĂ€hrlichste war der Verkehr in Peru. Da sind wir echt froh, unbeschadet durchgekommen zu sein. Das ist schon fast Krieg auf Strassen (s. Blog).
Sicher wurden wir als reiche Gringos in den kleinen LĂ€dchen immer mal wieder etwas abgezockt. Trotzdem DSC_1434sind uns auf unserem Weg nur ehrliche Leute begegnet. So bekamen wir das im Flugzeug liegen gelassene GPS wieder zurĂŒck. Den Reisepass, den wir im Internetcafe neben dem Computer liegengelassen hatten, konnten wir zwei Tage spĂ€ter abholen. Auch der MP3-Player, der sich unter dem Kissen im Hostal versteckt hatte, gab die Putzfrau bei unserer RĂŒckkehr (nach 2 Tagen in Machu Picchu) zurĂŒck.
Stets fĂŒhlten wir uns sicher, auch nachts in unserem Zelt. Klar wir haben die wichtigsten Regeln befolgt und wir hatten immer einen „gesunden" Respekt. Auch respektierten wir stets die Menschen, die in diesen LĂ€ndern leben. Aber grundsĂ€tzlich wĂŒrden wir die meisten Regeln auch in der Schweiz genau so anwenden.

 

Heimweh?

Tönt wohl komisch bei erwachsenen Leuten. Aber ja, diese Zeiten gab es auch! Das GefĂŒhl, dass man alles von zu Hause vermisst. Die Familie, Freunde, das Zuhause, WĂ€lder, Seen, Berge, Jahreszeiten, ESSEN... Am Schlimmsten war es ungefĂ€hr nach fĂŒnf Monaten. Aber es hat sich wieder gelegt. Trotzdem freuen wir uns unheimlich wieder auf die Schweiz, unsere Lieben zu Hause, auf das MOUNTAINBIKE und die LANGLAUFSKIS.

 

Unser „Amigo" der Gegenwind:

In allen  LĂ€ndern kĂ€mpfen wir uns oft gegen hĂ€rtesten Gegenwind und fragen uns manchmal schon, ob wiNL4-SignElVientor das echt so gewollt haben. JA, wir haben es freiwillig so gewĂ€hlt! Also Augen zu und durch. Trotzdem, es gibt Momente, wo man sich ziemlich nervt ĂŒber dem Wind, der in den Ohren ein ekliges Dauergesause verursacht. DafĂŒr dĂŒrfen wir tĂ€glich ein paar Kalorien mehr reinfrĂ€sen und sind trotzdem muy flaquitos!

 

 

Unsere Motivation:

Immer wieder, jeden Tag von neuem die Radeltaschen packen, das Zelt abbauen, sich von Leuten, die man eben erst IMG_1703kennen gelernt hat, wieder verabschieden. Das Abschied nehmen fiel uns oft schwer ... doch „wer rastet der rostet" ... "Also auf - weiter geht's!" Das alles macht manchmal echt MĂŒhe und nervt. Wir hatten aber immer wieder den Mut irgendwo lĂ€nger zu bleiben (und die absolut liebenswerten Gastgeber dazu). So konnten wir uns richtig erholen und neue Energie fĂŒr weitere Radelkilometer tanken; konnten ein Zuhause geniessen und uns einfach hĂ€ngen lassen. Das ist ein wichtiger Grund, weshalb wir nach wie vor voller Power, Gwunder und top motiviert sind, auf alles was da noch kommen mag. Und - Radeln ist einfach unsere PASSION!!!

 

 

Unser Fazit nach einem Jahr

Diese Reise gibt einem viele unschĂ€tzbare Erfahrungen und Qualifikationen fĂŒr das Leben. Diese Kompetenzen sind weniger technischer Natur - auch wenn man zum Experten fĂŒr SchlĂ€uche flicken, Speichen wechseln, Zelt aufbauen und Stadtplan zusammenfalten wird - sondern erstrecken sich auf das Feld der "Soft Skills", dem Lieblingsbegriff aller Personalchefs und Karrierebeilagen einschlĂ€giger Samstagszeitungen.

* Der SĂŒdamerikaradler kann von sich behaupten, sich zĂ€h wie ein Terrier in Cusco-Lima_marandi_553anvertraute Aufgaben verbeissen zu können und sich auch durch stĂ€ndig und endlos auftauchende Hindernisse nicht von diesem "Serpentinen geschwĂ€ngerten, schottrigen und gegenwindigen" Weg abbringen zu lassen. Er ist zudem im Stande, GeschĂ€ftsmeetings nicht nur in Höhen von ĂŒber 4000 Metern klaren Kopfes durchfĂŒhren zu können, sondern diese auch durch allerlei Anekdoten von seiner Radtour aufzulockern und prekĂ€re Situationen durch weise SprĂŒche mit Fahrradbezug philosophisch-gelassen zu ertragen ("Ein Platten kommt selten allein", "Man soll den Pass nicht vor dem Passschild loben", "Wer Berg sagt, muss auch Bolivien sagen").              
(*mit philosophischen Gedankengut von Johannes.)

Nach einem Jahr Lateinamerika sagen wir: "MUCHAS GRACIAS POR TODO! Estamos muy impresionados de su hospitalidad, su energia positiva y su amor. Adios!" O mĂĄs: "HASTA PRONTO!!!" Wir dĂŒrfen so viel von hier mitnehmen und haben erst noch im Vorbeigehen eine Sprache gelernt.

P1100978


Seit einem Jahr geht fĂŒr uns ein Traum in ErfĂŒllung und er geht noch einmal mindestens zehn Monate weiter. Los Marandis sind motivierter denn je! "United States of America, we‘re coming!"

Marion y Andi