Die Carretera Austral

Viele Jahre war der grösste Teil Chilenisch-Patagoniens überhaupt nicht durch eine Strasse erschlossen; lediglich ein paar Stichstrassen kamen von Argeninien her über die Berge und erreichten die wichtigsten Siedlungsgebiete.

Erst im Jahr 1976 wurde mit dem Bau einer durchgehenden Strasse begonnen, der Carretera Austral. Der Bau der Strasse wurde vom damaligen Diktator Pinochet aufgrund militärstrategischer Erwägungen veranlasst. So fräste das Militär eine 1200km lange Schneise in die schwierige Landschaft. Bau und Unerhalt dieser Strasse haben bishlang mehr als eine Milliarde US$ verschlungen. Erst 1999 wurde auch das letzte Teilstück nach Villa O'Higgins eingeweiht. An der ganzen Strecke wohnen kaum 100'000 Leute; die Hälfte davon allein in Coyhaique.

Die Carretera Austral ist ein einsamer Streifen, landschaflich jedoch grossartig und einmalig schön. Die Strecke ist aber auch anspruchsvoll für Radler, gibt es doch kaum Flachstücke und die Schotterstrassen sind teilweise in einem ganz schlechten Zustand. Es gibt "Wellblech"-Bereiche, wo man nur mit 6 km/h den Berg runter fahren kann (Frust pur!). Zudem gehört die Zone zur regenreichsten der Erde.

Villa O'Higgins, mit seinen 500 Einwohnern, hat durch seine Isoliertheit einen besonderen Charme. Für die meisten ist es das Ende, für uns ist der Ort der Startpunkt zur Carretera Austral. Vom Ort selber sehen wir diesmal nicht viel ... nachdem wir den abenteuerlichen Übergang vom Lago del Desierto gut gemeistert haben (siehe Blog) , zieht es uns bereits am nächsten Morgen, nach unserer Ankunft, auf die Schotterpiste.

 

Wir sind gleich vom ersten Kilometer an begeistert von der Carretera Austral! Es ist ein völlig neues Gefühl in so einer Landschaft Fahrrad zu fahren. Die Schotterpiste wurde wirklich mitten durch unberührte Natur gebaut. Wir fahren an tiefblaufen bis smaragdgrünen Seen entlang, durch grüne Wälder, an tosenden Wasserfällen vorbei, durch Bergtäler und Schluchten, entlang wilder Flüsse, über unzählige Brücken und immer bergauf, bergab, berauf, bergab ... Links und rechts von uns erscheinen immer wieder schöne Berggipfel und Bergflanken, die bis weit unten mit Gletschern bedeckt sind. Es ist sehr abwechslungsreich und diese wilde, noch ursprüngliche Region, beeindruckt und gefällt uns ausserordenlich gut. Die ersten richtigen Pässe gilt es zu meistern und ganz neu: Wir können unsere Fahrradflaschen einfach am nächsten Wasserfall füllen.

Tortel - Wo der Teufel seinen Poncho verlor! Diese chilenische Redensart bezeichnet Gegenden am A... der Welt. Caleta Tortel ist solch ein Ort und liegt 25 Km abseits unserer Route. Da die Schotterstrasse von Villa O'Higgins gar nicht so schlecht war (ausser auf Tortel hinein), erreichen wir schon nach zwei Tagen und 141 Km diesen besagten Ort. Jedoch bescherte uns der zweite Tag auf der Carretera Austral bereits den ersten richtigen Regentag. Es goss nur so aus Kübeln. Durch einen typischen "Anfängerfehler" (?) waren wir nach einer Stunde völlig durchnässt. Das gesamte Wasser floss in unserer Schuhe, so dass wir darin schwimmen konnten. Glücklicherweise wurde die Fahrt durch einen Fährenübergang (Puerto Yungay) kurz unterbrochen, wo wir uns vorübergehend ein wenig trocknen konnten. Die 50 Zusatzkilometer nach Tortel lohnten sich dann auf jeden Fall. Das in einer ruhigen Bucht gelegene Dorf ist erst seit 2003 über die Strasse erschlossen. Vorher erreichte man es nur mit dem Boot über den Rio Baker. Das ganz Besondere in diesem Dorf ist, dass es in sich nur über Holzstege verbunden ist. Im ganzen Dorf gibt es wahrscheinlich keinen Meter auf natürlichem Boden. Das war sehr eindrücklich und schön.

Dass wir Tortel angefahren haben, hat aber noch einen zweiten Grund ... der Geburtstag von Marion. Unser Zeitplan ging auf und wir erreichen am 25. Februar Caleta Tortel - bei Regen! Am nächsten Tag, am 26. scheint dann die Sonne wie bestellt und wir können bei schönstem Wetter den Geburtstag von Marion wie auch das Dorf selber geniessen. In einem schönen Restaurant gönnen wir uns ein feines Essen.

Die Weiterfahrt Richtung Norden nach Cochrane, das nach 274 km die erste Einkaufmöglichkeit bietet, führt uns dem schönen Rio Baker entlang. Der Rio Baker ist der wasserreichtste Fluss Chiles. Die Strasse verläuft sehr hügelig und wird, jedenfalls für Radfahrer, zunehmends schlechter. Ein "Waschbrett" nach dem anderen. Nach etlichen Kilometern verzweifeln wir manchmal fast und das eine oder andere Wort (!!!) musste sich die Stasse von uns schon anhören ... Die kleinen Wellen im Schotter zwingen uns bergab sogar zu bremsen und wir fahren manchmal nur noch mit max. 6 Km/h.

Einen Kilometer vor Cochrane vernehmen wir ein lautes "Gemuhe". Schon bald sehen wir auch viele Leute in einer Art Rodeoarena. Wir halten an und kommen ins Gespräch ... Natürlich sind die Einheimischen auch sehr "gwunderig" und fragen auch uns aus. Die vielen jungen Kälber werden hier gerade gebranntmarkt. Dazu veranlasst der Inhaber der Farm ein kleines Fest. Die Kälber werden, eines nach dem anderen, in die Arena hineingelassen und von den Männern mit Lassos gefangen, am Ohr gekennzeichnet und ein Zeichen gebrannt. Es war total interessant , wenn auch manchmal ein bisschen brutal für uns. Nach fast 2 Stunden mussten wir dann aber doch wieder weiterfahren, nicht aber, ohne vorher noch zum Bier eingeladen worden zu sein ...

Inzwischen erreicht uns eine kleine Kältewelle ... am Morgen sind die Temperaturen um den Gefrierpunkt und Andi kocht zum ersten mal in Handschuhen den Kaffee. Der Herbst hält Einzug! Wir pflücken auf dem Zeltplatz köstliche Zwetschgen vom Baum. Bereits nach 3 Tagen ist die Kaltluft wieder verschwunden und die Temperaturen steigen wieder.

Eine Schweizer Familie Namens Grimm ... Nach einigen Etappen erreichen wir den wunderschönen Lago General Carrera, aus dem der Rio Baker entspringt. Der Lago General Carrera ist nach dem Titicaca-See in Bolivien/Peru der zweitgrösste und der tiefste See Südamerikas. Die Fahrt hoch über dem tiefblauen See ist überaus eindrucksvoll. Auf der Fahrt dorthin erschrecken wir plötzlich , als uns ein laut hupendes Auto entgegen kommt und neben uns anhält. Ahhh, ... welch schönes Wiedersehen. Das sind ja Angelika und Hugo mit ihren Kindern und deren Grosseltern. Seit Feuerland fahren wir uns nun zum dritten Mal über den Weg. Zum ersten Mal haben wir sie in Villa Tehuelches und zum zweiten mal beim Gletscher Perito Moreno gesehen. Beide Parteien haben als nächstes Ziel den Ort Rio Tranquilo, wo man die Marmorhöhlen im Lago General Carrera besichtigen will. Als wir dort ankommen, hat sich die Familie bereits in einem Cabana eingemietet und zufällig sind noch 2 Betten frei. Die Einladung können wir nicht abschlagen und so verbringen wir die folgenden 2 Nächte und einen Tag mit der Familie zusammen. Natürlich buchen wir die Bootstour zu den "Cuevas de Marmol" gemeinsam und haben einen grossen Spass zusammen. Die "Cuevas de Marmol" sind Höhlen welche vom Wasser ausgewaschen worden sind und schöne Formen gebildet haben. Die Rückfahrt mit dem kleinen Boot wird dann ein wenig abenteuerlich. Der Wind lässt ein bis zwei Meter hohe Wellen entstehen, so dass es uns ziemlich fest umherschaukelt. Waren wir froh, als wir wieder festen Boden unter den Füssen hatten!

Von Rio Tranquilo aus erreichen wir in zwei Tagen, durch abgelegene Täler und einen Pass, den Ort Villa Cerro Castillo. Diesen Ort haben wir uns herbeigesehnt, denn von hier aus gibt es nach 517 km auf Schotterstrassen der Carretera Austral endlich wieder Asphalt - welch eine Wohltat. Nun sind es noch 100 km bis nach Coyhaique, der grössten Stadt in dieser Umgebung. Über den bisher höchsten Pass seit Ushuaia, den 1122 Meter hohen Pso. Ibanez verlassen wir die wilde Berggegend wieder und rollen in die grossen, fruchtbaren Ebenen um Coyhaique hinunter. Leider können wir dies nicht so geniessen, denn wir fahren wieder, völlig überrascht, in einen brutalen Gegenwind hinein. Das hatten wir nicht erwartet und so waren wir zuerst recht "gefrustet". Konnten wir doch zwei Stunden vorher noch mit 60 km pro Stunde den Pass hinabbrausen, nachdem wir nun schon wieder einen Monat mit maximal 20 km/h unterwegs waren.

In El Blanco, nach ca. 60 km, wollen wir nochmals Pause machen. Das Restaurant hat jedoch zu und die Nachbarin zeigt uns den Weg zu einem Rodeofest. Als völlige Exoten mischen wir uns unter die Leute und genehmigen im Lokal, wo am Abend auch noch zum Tanz aufgespielt wird, einen feinen "Cafe con Leche". Danach stürzen wir uns wieder in den Wind und kämpfen mit 8 km/h dagegen (das kennen wir doch schon zu genüge). Nach eineinhalb Stunden jedoch lässt der Wind markant nach und wir können das Radeln wieder voll geniessen, so dass wir schon bald in Coyhaique einfahren werden. Doch dann, ein paar wenige Kilometer vor der Stadt sehen wir überraschend ein Schild am Strassenrand mit einem Schweizerkreuz und marandi beschriftet. Das sind ja wieder Angelika und Hugo mit Familie, die hier, ausserhalb von Coyhaique, in einem Cabana übernachten und wussten, dass auch wir hier durchfahren würden. Es war ein bisschen wie Nachhausekommen. So entscheiden wir uns spontan, nicht in die Stadt zu fahren, sondern schlagen vor dem Cabana unser Zelt für eine Nacht auf.
Nochmals herzlichen Dank an euch alle ... wir haben die Gastfreundschaft sehr genossen und wünschen euch von Herzen alles Gute für die Weiterreise!

Nach fast genau 2 Monaten und exakt 2000 km auf dem Rad, haben wir Coyhaique erreicht. Die Stadt mit ca. 45'000 Einwohner wurde 1929 gegründet und das Zentrum besteht aus dem 5-eckigen "Plaza de Armas". Hier werden wir wieder einmal einen "Full Service" für uns, unser Gepäck und unsere Räder geniessen.

Wenn wir die Landkarte und unsere Strecke so anschauen, sehen wir, dass wir eigentlich nicht so rasch vorankommen... Gegenüber anderen Radlern sind wir sogar extrem langsam... dies hat aber viele Gründe. Der Hauptgrund ist sicher: wir geniessen es! Da Marion inzwischen gut Spanisch spricht, kommen wir mit sehr vielen Einheimischen ins Gespräch, halten dort und hier für einen Schwatz an, trinken an einem Fest ein Bier mit den Einheimischen usw. Die Bearbeitung und Aktualisierung der Homepage benötigt immer einen Zusatztag. Wir haben recht schweres Gepäck und brauchen mit unseren (fast) 40 Jahren einfach auch mehr Erholung als die anderen, jungen Radler. Für uns stimmt es so ... :-) !!!

Wir grüssen euch hezlichst in die Schweiz, Deutschland und nach überall, wo unser Newsletter gelesen wird.

Marion & Andi