Mendoza, die Millionenstadt, ist erreicht. Obwohl es ein kleiner Meilenstein unserer Reise ist, sind die Städte nicht unsere Hauptziele. Die Einfahrt in die Stadt, auf der 2-spurigen Autobahn, war grässlich. Unsere Highlights sind vielmehr die kleinen und grossen Naturwunder und die Menschen unterwegs.

Aber gehen wir nochmals exakt 998 Kilometer zurĂĽck ... denn jetzt wirds so richtig spannend ...

Wie im letzten Newsletter berichtet, haben wir von Chile her, über die Andenausläufer und den Pso. Arco (1755 m.ü.M.), das Dorf Las Lajas in Argentinien erreicht. Bereits 20 km vor Las Lajas bemerken wir, dass die Gegend eintöniger und noch trockener wird als über den Pso. Arco – ja, wir sind zurück in den Pampas !!! Im Gegensatz zu den Pampas auf Feuerland sind diese hier viel hügeliger und bergiger.

In Las Lajas treffen wir auch auf die berüchtigte Ruta 40. Sie wird von nun an, bis ganz in den Norden von Argentinien, meistens unter unseren Rädern liegen … Wir sind gespannt, was uns die Ruta 40 zu bieten hat und ob sie so hart zu fahren ist, wie viele sagen. Ob wir sie wirklich in den Griff bekommen? Oder eher sie uns?
Bereits bei der Planung der folgenden Etappen sehen wir, dass diese Strecke wahrscheinlich tatsächlich nicht so einfach zu befahren ist. So liegt der nächste Ort Chos Malal rund 160 km weit entfernt und zur nächsten Stadt San Rafael sind es dann nochmals fast 600 km. Dazwischen hat es zwar ein paar sehr kleine Örtchen, aber auch diese liegen 60 bis 90 km auseinander ... sonst gibt es jedoch nichts – kein Dorf, kein Mensch, kein Wasser, kein Baum, kein Schatten - einfach nichts, ausser Steppe. Viele haben uns gesagt, dass wir nun mit Feuerland und Patagonien den strengsten Teil der Reise hinter uns haben. Wir empfinden jedoch diese Strecke nach Mendoza als die grössere Herausforderung, mental, aber auch vor allem wegen der klimatischen Bedingungen. Wir sind ständig der prallen Sonne ausgesetzt und es wird am Nachmittag sehr heiss (ca. 30°C). Seit über 4 Monaten hat es in dieser Gegend nicht mehr geregnet – die meisten Bachläufe sind völlig ausgetrocknet. Auch unsere Kehlen - die Luft ist so trocken, dass wir ständig einen trockenen Mund und ein Durstgefühl haben. So haben wir in unseren Wassersäcken immer zwischen 5 bis 10 Liter zusätzliches Wasser dabei. Die Ruta 40 ist auch strenger zu befahren als die Pampa im Süden – sie ist sehr hügelig und wir fahren ständig zwischen 1000 und 2000 m.ü.M auf und ab - meistens aber auf einer Höhe zwischen 1'400 und 1'600 m.ü.M. Vielleicht sagen die einen, dass dies eine völlig öde, langweilige Landschaft ist. Nicht aber für uns – wir sind fasziniert von dieser Gegend. Es ist einfach total anders hier und deshalb so interessant. Der Himmel ist wolkenlos blau und wir fahren durch absolut einsame Gegenden. Der Verkehr ist sehr minim. Den grössten Teil machen wohl die vielen Lastwagen aus, welche Propangas nach Chile transportieren. In dieser Gegend der Provinzen Neuquen und Mendoza hat es grosse Erdöl- und Erdgasvorkommen, welche Argentinien unabhängig von anderen Staaten macht.

In Chos Malal, einem 13'000 Einwohner zählenden Städtchen, hat uns Bruno aus Bariloche einen Kontakt vermittelt und uns bereits angemeldet (!!!). Wir werden von Ingrid und Cesar Castro und ihren beiden Kindern Malen und Lauti herzlichst in ihrem ganz neuen, kleinen und gemütlichen Haus emfangen. Cesar ist Arzt in Chos Malal und Ingrid arbeitet als Ernährungsberaterin. In Spanisch und Englisch unterhalten wir uns und erfahren wieder so viel vom argentinischen Leben. Wir erleben wiederum herzlichste Gastfreundschaft. Dies zeigte sich z.B. auch darin, dass uns Ingrid und Cesar ihr Zimmer und Bett überlassen, weil das Gästezimmer noch im Rohbau ist. Sie haben die 3 Nächte bei ihren Kindern auf Ersatzmatratzen übernachtet.

Nach Chos Malal schlängelt sich der Asphalt nun kilometerweit durch braune, sandige und felsige Steppen und überquert dabei einen Hügelzug um den anderen. Hinter jedem Hügel wird die Landschaft wieder von neuen Formen geprägt. Haben uns in Chile saftig grüne Strassenränder mit roten Hagenbutten- oder Brombeersträuchern begleitet, so sind es nun nur noch diese kargen, trockenen Grasbüschel. Die Tierwelt ist nicht mehr so ausgeprägt – jedenfalls sehen wir ausser einem Wüstenfuchs und drei Nandus fast keine. Selten begegnen wir einsamen Kühen und Pferde (was die hier wohl fressen?). Etwas mehr machen wir in den Pampas draussen Bekanntschaft mit Ziegen. Dann und wann überqueren ganze Ziegenherden vor uns die Strasse, so dass wir abbremsen müssen. Einmal fahren wir nach einer Kurve direkt vor eine mehrere hundert Tiere zählende Herde, die uns auf der ganzen Strassenbreite sehr gemütlich entgegen kommt. Zuerst vielen Pferde und dahinter hunderte von Ziegen. Das ist ist ein "Alpabzug alla Argentinos"!!! Die Gauchos, die zuhinterst auf ihren Pferden daher kommen, bringen ihre Tiere zurück in die tiefer gelegenen Weidegebiete.

Kaum haben wir den Wind vom Süden so richtig vergessen, fahren wir am vierten Tag auf der Ruta 40 plötzlich in eine kräftige Windfront hinein, schon fast ein Sandsturm. Dies vor einem langen Aufstieg. Mit letzter Kraft erreichen wir gerade noch das kleine Dörfchen Ranquil Norte, irgendwo mitten in der Pampa, wo der Wind sich noch verstärkt und fast zu Sturmstärke aufläuft. Wir dürfen gleich neben dem Polizeigebäude auf einem kleinen grünen Wiesenplätzchen (ohh, welch ein Glück) das Zelt aufschlagen. Die ganze Nacht und am nächsten Morgen herrscht Sturm und der vom Wind aufgewirbelte, rote Sandstaub dringt überall in unser Zelt hinein. Wir können unmöglich weiterfahren und verbringen einen überraschenden Ruhetag. Gegenüber anderen kleinen, z.T. heruntergekommenen und lauten Örtchen ist Rangquil Norte sehr ruhig und wir fühlen uns neben dem Polizeigebäude auch sicher.

 

Nach Ranquil Norte lässt uns der Asphalt plötzlich im Stich und wir fahren die nächsten 50 km wieder auf sehr sandiger und schotterigen Strasse. Nach 400 km auf der Ruta 40 überqueren wir zum ersten Mal einen wasserführenden Fluss, den Rio Grande. Wir befinden uns in einem sehr breiten Tal, welches von pechschwarzen Felsen übersät ist. Dies sind wohl Lavasteine eines früheren Vulkanausbruches und sie verwandeln die Gegend in eine Mondlandschaft. Die steilen Felsabrüche auf der einen Seite des Tales sind rostrot gefärbt, was der Landschaft einen einmaligen Charakter gibt. Vor dem nächsten grossen Ort Malargüe finden wir keinen geeigneten Platz zum Campen. So verlängern wir die Etappe etwas unfreiwillig auf 115 km und überqueren dabei unseren bisher höchsten Pass auf 1980 m.ü. M. Erst spät am Abend, die letzen 15 km in der Dunkelheit fahrend, erreichen wir ziemlich müde Malargüe. Mit Malargüe fahren wir in eine äussest interessante Gegend hinein, von der es viel zu erzählen und zu schreiben gibt...

Malargüe liegt am Anfang einer riesigen Ebene, der Pampa des Rio del Atuel. Diese Fläche ist unglaublich gross. Die Abmessungen liegen wohl über 100 km x 100 km. In unserem Hotel lernen wir einen mexikanischen Physiker kennen, der hier gerade an einer Forschungstagung im örtlichen Observatorium teilnimmt. Er erzählt uns, dass sich diese grosse Fläche herrvorragend für Forschungen eignet, da darüber der "sauberste" und klarste Himmel von ganz Argentinien anzutreffen ist. So werden hier in unzähligen, sogenannten „Tanks“, welche auf der ganzen Ebene verteilt sind, kosmischen Strahlungen und Teilchen, die auf die Erde treffen, gemessen. Es gibt hier auch sehr viele Fossilien-Funde (u.a. Dinosaurier) und ein grosses Erdölvorkommen, welches mit grossen, von der Strasse aus zu sehenden Erdölpumpen zu Tage gefördert wird (J.R. Ewing aus Dallas lässt grüssen Zwinkern). Auch hat man in der Gegend bis vor kurzem Uran abgebaut, was nun aufgrund der Umweltverschmutzung verboten ist. Das riesige Land Argentinien hat übringens nur zwei Atomkraftwerke.

Auf unserer nächsten Etappen bekommen wir die Grössenordnung dieser Ebene so richtig zu spüren. Unsere Route durchquert die Fläche im Süden und Westen – auf der langen 135 km Tagesetappe müssen wir die Fahrradlenker wohl nur 5x bewegen – Ruckspiegeldazwischen gibt es nur Geraden. Es war für uns nicht nur eine Herausforderung für die Beine - auch für den Kopf. Wir fahren am kleinen Ort (Tankstelle und Kiosk) El Sosneado vorbei … 60 km von hier ereignete sich vor Jahren in den hohen Anden die unglaubliche Geschichte des Absturzes eines Passagierflugzeugs. Erst nach 75 Tagen fand man Überlebende, welche nur noch am Leben sind, weil sie anfingen, ihre toten Kameraden zu essen. Für die Argentinier ist es „Das Wunder der Anden“. Die Geschichte wurde verfilmt und heute könnte man für 400 US$ die Absturzstelle auf einer Exkursion mit Pferden besichtigen. Wir verzichteten darauf …

Nach fast 7 Stunden im Sattel haben wir die Ebene durchquert und übernachten an einer einsamen Tankstelle mit kleinem Kiosk. Durch den lauten Schwerverkehr haben wir nicht viel geschlafen. Am Morgen sind wir auch ganz überrascht, als Marion in unserem Vorzelt einen kleinen „Alacran“, aus der Familie der Skorpione, entdeckt. Ob dieser giftig ist wissen wir (noch) nicht. Aber vielleicht forscht ein interessierter Leser für uns? Von der Tankstelle aus sind es nur noch 52 km in die schöne (Wein-) Stadt San Rafael. Doch wir machen einen doppelt so langen Umweg ... dieser sich hat in jeder Hinsicht gelohnt ...

 

Canon-See

Wir fahren durch den Cañon del Atuel !

Wir erleben wir ein grosses Highlight, mit dem wir nicht gerechnet haben und es ist eine wunderschöne Abwechslung zu den letzten 600 km. Der Cañon del Atuel ist vor 500 Millionen Jahre durch den Rio Atuel entstanden. Beindruckend ist, dass dies noch 400 Millionen Jahr vor der Entstehung der Anden geschehen ist. Der Cañon beginnt am nördlichen Ende der grossen Ebene, wo vor 50 Jahren eine Staumauer für die Stromerzeugung gebaut wurde. Durch die Stauung des Rio del Atuel entstand künstlich die Lagune del Nihuil und die ist heute ein touristischer Ort zum Fischen. Am Rande ist zu erwähnen, dass der Ort El Nihuil Etappenort der letztjährigen Ralley Dakar war, welche aus Sicherheitsgründen für einmal in Argentinien und Chile ausgetragen wurde. Die Einfahrt in den Cañon del Atuel ist spektakulär. Steil geht es auf einer Schotterstrasse kurvenreich in den Cañon hinein. Das Wasser und der Wind haben die Schlucht und die Felsen in unterschiedlichste Formen geschliffen. Die Schotterstrasse führt uns meistens an der Talsohle der tiefen Schlucht entlang, was besonders imposant ist. Die hohen, steilen Felswände weisen viele Farben von ganz weiss, braun, rot usw. auf. Der Cañon führt fast kein Wasser mehr, da alles für die Stromerzeugung gebraucht wird. Im ganzen Cañon befinden sich vier Wasserkraftwerke. Nach 30 km Fahrt in der Schlucht kommen wir zum kleinen Touristencamp „Cañon del Atuel“ – der Ort kommt uns wie eine Oase vor. Wir dürfen das Zelt unter Bäumen aufstellen und verbringen dort spontan einen wunderschönen Ruhetag. Mit dem Inhaber Hugo Condori diskutieren wir stundenlang und er erzählt uns viel Interessantes über das Gebiet und die Schlucht. 40 km fahren wir insgesamt durch die Schlucht - danach mündet der Cañon ins grosse Valle Grande und dieses wiederum endet in der Pampa, 15 km vor San Rafael. San Rafael kündigt sich mit den vielen, grossflächigen Weinreben und den unzähligen Weinkellern an den Strassenränder an. Wir übernachten mitten in der Stadt, sehen von dieser jedoch nicht viel, denn gerade ist 1. Mai und das ist eigentlich der einzige Tag im Jahr, an dem in Argentinien wirklich alles geschlossen ist, inkl. Cafés. Also tote Hose!

Die restlichen 240 km nach Mendozasind schnell erzählt. In 3 Tagesetappen (60, 95, 85 km) fahren wir durch unattraktive Pampa und kleinere Städte. Die Strecke hat nicht viel zu bieten und es ist beinahe "langweilig" für uns. Wir haben das Gefühl, wir kommen und kommen nicht vom Fleck, treten und treten und treten - wahrscheinlich lag dies auch am ständigen Gegenwind oder weil wir so kurz vor dem Ziel waren. Das einziges Highlight erleben wir nach der ersten Etappe ... wir dürfen ein sagenhaftes Abend- und Morgenrot erleben, wie wir es bisher noch nie gesehen haben - eine wundervolle Stimmung. Am Morgen erleben wir noch eine lustige Anektote ... mitten in der Nacht hat ein Auto direkt vor unserem Zeltplatz, auf einer Ausweichstelle der Strasse, angehalten. Wir erschrecken zuerst, merken aber bald, dass der Fahrer müde ist und den Rest der Nacht schlafend im Auto verbringt. Am nächsten Morgen machen wir Bekanntschaft mit dem Nachtruhestörer - er ist total interessiert und begeistert von uns. Plötzlich geht er zum Auto zurück und macht Andi ein Geschenk. Eine rote Unterhose (Modell: altmodisch)!!! Der Herr ist nämlich Inhaber eines Unterwäsche -Fabrik und hat immer einige Unterhosen mit im Auto dabei.

40 km vor Mendoza kommen wir auf die Autostrasse, bzw. Autobahn. Es gibt keinen anderen Weg und so fahren wir auf dieser 2-spurigen Schnellstrasse Richtung City. Die Luft wird nun schlechter und stinkiger. Je näher wir der Stadt kommen, desto mehr nimmt der Verkehr zu. Mit der Zeit ist es uns recht mulmig zu Mute, wenn die Trucks mit über 100 Sachen an uns vorbeidonnern. Es war wirklich hässlich und genau das, was sich Radfahrer eben nicht wünschen. Irgendwand sind wir dann mitten in der Stadt und per GPS finden wir den Weg ohne Probleme an unser Ziel. Das Ziel ist wieder eine Privatadresse, welche wir von Rebecca und Pascal (kimble.ch) erhalten haben. Ein grosses Glück für uns! Nun sind wir hier bei Belén und Roland Rossi, welche mitten in Mendoza eine kleine, schöne Bar führen. Und wir, wir brauchen wieder mal eine längere Pause. Wir werden unsere Räder ein paar Tage stehen lassen und gehen Mendoza erkundigen ... vamos ...

Un abrazo fuerte

LOS MARANDIS
Marion & Andi